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Ein kurzes Zeitfenster pädagogischer Betreuung… und Nestwärme obendrein


Bunte Kinderhaus-Bilder umrahmen die Fensterfront im Erdgeschoss der Goerdeler Straße 15/2. In jedes Häuschen haben sich die Kinder selbst hineingemalt – manche mit einem Gedicht: „In meinem Haus da wohne ich – und wenn du willst, dann öffne ich die Tür und lass dich rein.“ Es ist 7.30 Uhr und ihre Erzieherin Ulrike Vogt freut sich die Tür der Kernzeit weit aufzusperren und die Kinder der Hort- und Kernzeitbetreuung hereinzulassen. Das heißt unter Corona-Bedingungen: Dreimal in der Woche werden die Kinder der Teichwiesenschule zuhause getestet. Die Testblätter werden von ihr überprüft.

„Guten Morgen, Leon – wie geht es Dir?“ Aus Schutz vor der Pandemie sind die sonst altersgemischten Gruppen mit wechselnder Betreuung in nach Klassenstufen sortierte Kohorten aufgeteilt mit festen Bezugserzieherinnen. Auch die Gruppenräume müssen getrennt sein: Die Erstklässler sind in die Bewegungshalle im Erdgeschoss der Goerdeler Straße 15/2 ausgewichen, während die Zweit und Drittklässler sich in den Räumen der Teichwiesenschule aufhalten. Die Viertklässler sind im Hauptgebäude untergebracht. „Auf lange Sicht hoffen wir, dass wir wieder zu unserem rollierenden System zurückkehren können“, sagt Ulrike Vogt.

Langsam füllt sich die Bewegungshalle mit Erstklässlern. „Manche Kinder legen gleich los mit dem Spielen. Andere wollen am frühen Morgen in Ruhe gelassen werden“, weiß Ulrike Vogt. Die Kunst ist für sie und das Team die Kinder in ihrer Individualität abzuholen.

Ohne zu jammern tragen die Kinder ihre Masken

Eines haben die Kinder in der Kernzeit Korntal an diesem kalten Februarmorgen gemeinsam: Alle tragen eine Maske. „Nach unseren Kinderkonferenzen wissen die Kinder, dass es wichtig ist eine Maske zu tragen.“ Also ziehen sie sie an, ohne zu jammern. „Die Kinder sind einfach super“, erzählt Ulrike Vogt begeistert. Aus der Spielecke kommt gleich die Bestätigung: „Ich trag sogar manchmal schon in der Pause eine Maske, ohne dass ich es merke“, verkündet ein Bub. Angst vor Corona? „Neee! Ich hab das noch nie gehabt.“ Während die Erwachsenen in der Pandemie sich beklagen und sich sorgen, bleiben Kinder während der Pandemie eher unbeschwert, beobachtet Ulrike Vogt und ist dankbar dafür: „Sie spielen, sie sind kreativ – gerade so, als gibt es Corona nicht.“ Dabei kennen und beachten die Mädchen und Jungen die Hygienekonzepte genau.

Werte und Normen vermitteln – Rituale leben

Bevor die Schule anfängt versammelt sich die Gruppe der Erstklässler. „Die Kinder werden nach Klassenstufen verabschiedet“, erzählt Ulrike Vogt. Seit 1995 arbeitet die Korntalerin im Ort:  Erst war sie als Mitarbeiterin bei der Sprachförderung der Teichwiesenschule im Einsatz. Parallel dazu folgte ab dem Jahr 2000 ihre Tätigkeit in der Kindestagesstätte Goerdeler Straße 14 im Schulkinderbereich bis zum Jahr 2010. Seit 2010 ist sie zusätzlich als Leiterin der Kernzeit beschäftigt. So etwas wie Corona hat sie sich in ihrer langen Laufbahn nicht vorstellen können. „Wenn ich morgens ins Büro komme, weiß ich nicht, welches Kind jetzt Corona hat oder wie dieser Pandemie-Tag überhaupt abläuft.“ Durch die Pandemie hat sich ihre Aufgabenstellung als Leiterin der Kernzeit sehr verändert. Gesetze, Vorschriften, Organisation, Verwaltungstätigkeiten und die ständigen Änderungen beeinflussen den Alltag und die Betreuungssituation.

Wenn die Kinder in der Schule sind, dann nutzt das Kernzeit-Team den Dienstagvormittag für die Teambesprechung. Improvisation in der Pandemie steht ganz oben auf der Tagesordnung. Daher ist die Vernetzung mit den Eltern und mit der Schule jetzt ganz wichtig. „Und das funktioniert super“, meint Ulrike Vogt. Zudem ist das Hand in Hand arbeiten im Team eine feste Größe im Umgang mit der Pandemie.

Nur kein Lockdown mehr! Das hoffen alle. Denn „Kinder brauchen Kinder“, hält die Kernzeitleiterin fest. Als die Schulschließungen angeordnet wurden, übernahm das Hort- und Kernzeitteam die Notbetreuung. „Wir waren froh für jedes Kind, dem wir ein Stück „Normalität“ durch Kontinuität zurückgeben konnten“, erzählt Ulrike Vogt.

Doch so ganz spurlos sei die Krise nicht an den Kindern vorbeigegangen: Zum Beispiel im sprachlichen Bereich gibt es Defizite. Satzstrukturen sind teilweise nicht mehr präsent. „Kann ich den Uhu?“ Die Erzieherinnen geben ihr Bestes, um Werte und Normen zu vermitteln. Zum Beispiel das Grüßen, das Einüben von Gesprächsregeln und „dass man lernen muss, einmal zu warten“, erklärt die Kernzeitleiterin. Auch Rituale gehören dazu. „Denn sie geben ihnen den Halt, den sie in dieser unruhigen Zeit brauchen.“

Nach ihrem „Arbeitstag“ sind die Kernzeit-Erzieherinnen die ersten erwachsenen Ansprechpartner

Wenn die Kinder nach dem Unterricht wieder vor der Tür stehen, wissen sie genau, was jetzt gleich kommt: Jedes Kind legt seinen Namensstein aus. „Das zeigt, dass ich da bin.“ Nach ihrem „Arbeitstag“ sind die Erzieherinnen die ersten Erwachsenen als Ansprechpartner für die Kinder. „So wie am Morgen ist hier Sensibiltät gefragt, denn nicht jeder Tag ist gleich“, hält Ulrike Vogt fest. In der Kernzeitbetreuung können die Kinder das freie Spiel genießen oder Angebote im Tageslauf frei wählen. „Das Miteinander ist eingebettet in ein verlässliches Regelwerk und lebt von gegenseitiger Wertschätzung“, sagt die Kernzeitleiterin.

Die einen, die kein Mittagessen bekommen, packen ihre Vesper aus. Einige sticken an einem Puppenteppich. Die anderen erobern die Leseecke. „Ich spiel gern Schach“, sagt einer. Am liebsten mit seinem besten Freund aus der Parallelklasse, den er in der Kernzeit kennengelernt hat. Den Lockdown haben sie gar nicht so schlecht in Erinnerung: „Dass ich keine Schule hatte, fand ich toll“, verkündet ein Sechsjähriger. Doch nicht alles war so toll: „Doof war, dass wir nicht miteinander spielen konnten“, erzählen die drei Jungen in der Leseecke.

Im „kleinen Restaurant“ werden sogar Erbsen probiert

Das „kleine Restaurant“ im Nebenraum der Mensa der Realschule erwartet um 13 Uhr diejenigen, die Mittagessen bekommen. Die Tische sind liebevoll dekoriert. Jeder Gast hat ein eigenes Tischkärtchen: „Essen in der Gemeinschaft ist sehr wichtig“, betont Ulrike Vogt. Neben den warmen Gerichten steht auf dem Speiseplan der Kernzeit auch das Näherbringen einer Speisekultur. Kaiserschmarrn ist beliebt – Gemüse eher weniger. Die Erzieherinnen ermutigen die Kinder Neues zu versuchen. „Ich habe ne Erbse probiert“, ruft ein Mädchen stolz.

Die Uhrzeiger nähern sich 13.30 Uhr. Zeit für das Verabschiedungsritual: Ein „Ungetüm“ mit vielen Köpfen und vielen Sprachen erfüllt seine Pflicht. „Was hast Du heute vor?“, fragt es jeden Einzelnen.

Nach dem Mittagsband trifft sich das Team nach jeder Diensteinheit zur Reflektion.

Das Zeitfenster, in denen die Kinder sich in der Kernzeit aufhalten, ist kurz – es sei denn es sind Ferien, in denen die Kernzeit längere Betreuungszeiten mit einem Ferienprogramm anbietet. Ob kurzer oder langer Tag - für Ulrike Vogt steht im Umgang mit den jungen Menschen immer ein Ziel der Kernzeit im Vordergrund: „Den Kindern durch Vorleben Vertrauen, Optimismus und Offenheit zu vermitteln und ihnen zu zeigen, dass wir sie ernst nehmen und für sie da sind... ein bisschen Nestwärme gibt es oben drein.“