„Geflüchtete kennen kein Sommerloch“ – ein Interview über Integrationsmanagement
Wie das siebenköpfige Team des Integrationsmanagements der Stadtverwaltung die täglichen Herausforderungen einer persönlichen Betreuung meistern und was für Hindernissen und Vorurteilen sie begegnen, berichten Dr. Catharina Vögele, Fachbereichsleiterin Familie, Bildung und Soziales und Integrationsmanagerin Birgit Wagner im Interview.
Fachbereichleiterin Dr. Catharina Vögele
Wie kommt es, dass Korntal-Münchingen ein eigenes Integrationsmanagement führt?
Dr. Catharina Vögele: Der Gemeinderat hat die Stellen genehmigt, damit die Geflüchteten in unserer Stadt gut betreut werden. Es gibt momentan nur drei Kommunen im Landkreis mit einem eigenen Integrationsmanagement. Korntal-Münchingen gehört dazu. Der Unterschied: Während in anderen Kommunen eine Person vom Landkreis nur ein paar Stunden in der Woche kommt, um die Flüchtlinge dort zu besuchen, hat in Korntal-Münchingen jede und jeder Geflüchtete dauerhaft einen persönlichen Ansprechpartner.
Integrationsmanagerin Birgit Wagner
Wie organisieren sich die sieben Integrationsmanager?
Birgit Wagner: Integrationsarbeit ist Beziehungsarbeit. Wir haben die Bewohner der Unterkünfte und Mietwohnungen geografisch unter uns Kollegen aufgeteilt. Teilweise sind wir auch in Büros direkt vor Ort in der Flüchtlingsunterkunft. Das ist ein großer Vorteil, den auch die Polizei schon festgestellt hat: Insgesamt haben wir in der Stadt vergleichsweise wenig Probleme.
Wie sieht Ihre Arbeit im Alltag aus?
Birgit Wagner: Die Bürokratie ist enorm: Wenn wir einen normalen Antrag stellen für eine vierköpfige Familie, damit sie ihr Geld bekommen und krankenversichert sind, dann kann das zum Beispiel bedeuten, dass wir 52 Seiten Formulare ausfüllen und noch 23 Seiten Kopien beifügen müssen.
Könnten die Geflüchteten auch ohne Hilfe die Fragen beantworten?
Birgit Wagner: Die Unterlagen sind für Menschen mit wenig Deutschkenntnissen nicht zu bewältigen. Wir haben mit allen Behörden zu tun: Banken, Landratsamt, Jobcenter, Ausländeramt … Oft fehlt leider die Zeit, um mit dem Geflüchteten z. B. noch eine Bewerbung zu schreiben. Wir bedauern das sehr und für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft wäre es gut, wenn wir hier noch mehr unterstützen könnten. Das ist allerdings sehr zeitintensiv und momentan können wir das bei der großen Zahl an Flüchtlingen kaum leisten.
Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen den Geflüchteten und dem Integrationsmanager in Korntal-Münchingen?
Birgit Wagner: Das ist eine sehr persönliche Beziehung. Wir wissen oft viel von den Familien und Einzelnen, wie es ihnen geht, was sie bewegt und auch wo Nöte sind. Oft bringen sie uns ein überaus großes Vertrauen entgegen. Wie eng die Beziehung ist, merkt man oft, wenn man die Kollegen zu Urlaubszeiten vertritt und die Klienten ganz fassungslos vor dem Schreibtisch stehen: Was? Mein Sozialarbeiter ist im Urlaub?
Dr. Catharina Vögele: Die Integrationsmanager begleiten alles, was zum Leben eines Menschen dazugehört: Kita, Schule, Job, Gesundheit. Wir hatten auch schon den Fall, dass eine Kollegin mit einer hochschwangeren Frau ins Krankenhaus gefahren ist.
Birgit Wagner: Fahrdienste leisten oder auch x-mal in der Hotline zu landen, wenn man einen Arzttermin ausmachen will, das kostet uns viel Zeit. Hier bin ich immer wieder froh, wenn ich solche Aufgaben auch mal an Ehrenamtliche delegieren kann, die den Menschen helfen können, wenn die Deutschkenntnisse eben noch nicht ausreichen, um das alleine zu erledigen.
Stichwort Ehrenamtliche: Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, war die Hilfsbereitschaft in Korntal-Münchingen groß. Wie ist da der Stand?
Dr. Catharina Vögele: Von den 850 Geflüchteten in Korntal-Münchingen sind circa 400 Geflüchtete aus der Ukraine. Wir haben Glück, dass durch die Initiative von Licht im Osten, der Diakonie der Brüdergemeinde und durch Verwandte der ukrainischen Menschen und viele engagierte Bürgerinnen und Bürger etwa die Hälfte privat oder in Mietwohnungen untergebracht sind. Sonst hätten wir auf Hallenbelegung ausweichen müssen – und das wollen wir vermeiden, weil dann auch die Vereine und Schüler betroffen sind.
Birgit Wagner: Die Vermieter, in deren Wohnungen ukrainischen Geflüchtete wohnen, können sich darauf verlassen, dass wir die Vermietung aktiv begleiten und wo nötig auch vermitteln. Auch wenn das im Detail uns viel Zeit kostet: Oft gibt es trotz der Hilfsbereitschaft Berührungsängste und die Vermieter kommen auch mit kleinen Anliegen, wie nicht geleerte Mülleimer oder nicht beschrifteten Briefkästen zu uns, anstatt es direkt mit ihren Mietern zu klären.
Dr. Catharina Vögele: Auch hier ist die Kommunikation ganz wichtig. Deshalb haben wir im Sommer letzten Jahres ein gemeinsames Sommerfest für die Ehrenamtlichen und die Vermieter von Wohnungen an unsere ukrainischen Geflüchteten gemacht. Das kam sehr gut an.
Wie geht es weiter mit der kommunalen Flüchtlingspolitik in Korntal-Münchingen?
Dr. Catharina Vögele: Kommunalpolitik ist das Spiegelbild der Weltpolitik. Wenn am anderen Ende der Welt etwas passiert, dann spüren wir hier auch die Folgen. Wir müssen als Stadt darauf vorbereitet sein, denn wir werden in Zukunft weitere Geflüchtete zugeteilt bekommen und brauchen für diese Möglichkeiten der Unterbringung. Die Weichen hierfür müssen frühzeitig gestellt werden.
Wie ist der Stand der Zuteilungsquote aus dem Landkreis für das nächste Jahr?
Dr. Catharina Vögele: Die Zuteilungsquote Geflüchteter des Landkreises Ludwigsburg für die Stadt Korntal-Münchingen liegt für dieses Jahr bei 89 Personen. Im kommenden Jahr gehen wir von einer noch höheren Zuteilungsquote aus. Hinzukommen die vielen Geflüchteten aus der Ukraine. Die Unterbringungskapazitäten für Geflüchtete der Stadt Korntal-Münchingen werden deshalb zukünftig nicht mehr ausreichen.
Was ist an Unterbringungsmöglichkeiten geplant?
Dr. Catharina Vögele: Auf der Suche nach Lösungen werden momentan verschiedene Möglichkeiten geprüft. Eine vorübergehende Unterbringung von Geflüchteten in Containern ist im Gewerbegebiet von Münchingen nördlich der Kornwestheimer Straße 133 vorgesehen. Die Wohncontainer dort werden jedoch frühestens Ende dieses Jahres aufgestellt werden können.
Können Sie die Sorgen von Anwohner einer möglichen Flüchtlingsunterkunft verstehen?
Dr. Catharina Vögele: Wir können nachvollziehen, dass Nachbarn Sorge haben, wenn sich etwas ändert, und wir nehmen deren Ängste und Sorgen auch ernst. Am Beispiel der Flüchtlingsunterbringung in Kallenberg, die 2021 eröffnet wurde, haben wir gesehen, dass die Wogen sich glätten im alltäglichen Zusammenleben. Die meisten Probleme, die dort befürchtet wurden, sind nicht eingetreten.
Birgit Wagner: In Kallenberg melden sich jetzt die Nachbarn hauptsächlich, wenn mal ein Ball über den Zaun fliegt. Es wäre manches einfacher, wenn die Menschen mit weniger Vorbehalten aufeinander zugehen würden. Kinder können da ein gutes Beispiel für die Erwachsenen sein. Eines meiner schönsten Erfolgsmomente ist, wenn deutsche Eltern eine Familie in den Flüchtlingsunterkünften besuchen, weil die Kinder sich angefreundet haben.
Dr. Catharina Vögele: Die Integration von Familien ist häufig einfacher, wenn Kinder einen Kita- oder Schulplatz haben. Da haben sie dann automatisch Kontakt zu unterschiedlichsten Familien aus der Stadt. Seit diesem Jahr gibt es im Aufenthaltsgesetz für Asylbewerber eine Änderung. Diese erlaubt auch Menschen, die bisher seit Jahren nur eine Duldung hatten, einen vorübergehenden Aufenthaltstitel zu bekommen. Damit erhalten sie auch eine Arbeitsgenehmigung und können selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Das war ein großer Gewinn, vor allem für viele junge Männer, die hier sind und seit Jahren nicht arbeiten durften.
Was wäre Ihr Wunsch an die Korntal-Münchinger und an die Geflüchteten?
Birgit Wagner: Wenn der Widerstand aus der Bevölkerung sehr groß ist und die Emotionen aufgeheizt sind, dann lassen häufig auch Vorurteile keinen Raum mehr, sich unvoreingenommen zu begegnen. Ich möchte immer ermutigen, Berührungsängste auf beiden Seiten zu überwinden und sich vielleicht einmal zu einem gemeinsamen Essen zu treffen. Die Deutschen fragen sich dann vielleicht „Werden die Ausländer unser Essen mögen?“ und die Geflüchteten sind auch aufgeregt, weil sie noch nie in einem deutschen Haushalt eingeladen waren und überlegen sich „Welche Geschenke bringt man hier denn eigentlich mit?“. Bei so einem Zusammentreffen müssen beide Seiten über den eigenen Tellerrand schauen und sich aus ihrer Komfortzone wagen. Dann kann man von solchen Begegnungen ungemein profitieren.