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Das „Fräulein vom Amt“ wartet auf Ihren Anruf


„Ein Museum ist eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.“ So lautet die allgemeine Definition von „Museum“ auf der Website des Staatsministeriums für Kultur und Medien. Was die Fachleute vergessen haben: Ein Museum ist ein Ort, an dem man einfach Spaß haben kann. Wie in der seit Sonntag eröffneten Ausstellung „Verschwundene Dinge“ im Heimatmuseum Münchingen. „Hier ist Anfassen erwünscht“, sagt Dr. Sabine Rathgeb und lädt ausdrücklich zum Ausprobieren und zum Mitmachen ein.

Dr. Sabine Rathgeb, die Leiterin des Heimatmuseums, in der neuen Ausstellung „Verschwundene Dinge"

Wer kräftig kurbelt, wird verbunden

Mit der Unterstützung des RepairCafés werden die Besucherinnen und Besucher auf Zeitreise in eine Vergangenheit geschickt, die bei vielen von uns längst vergessen ist. Oder die für die Generation „Handy“ unvorstellbar ist. Deshalb heißt es jetzt im Heimatmuseum Münchingen: weg mit dem Smartphone. Wer telefonieren will, muss am „Ortsbatterieapparat“ erst mal ordentlich kurbeln, bis das „Fräulein vom Amt“ sich meldet. Das Fräulein vom Amt ist Wilhelm Kobler. Aus seiner Sammlung hat der Telefontechniker die kleine Telefonvermittlungs-Anlage zur Verfügung gestellt. Kurbelt ein Besucher am alten Telefon neben dem Eingang, heißt es für ihn: Hebel im Nebenraum umlegen und dann – man ahnt es schon – auch wieder kurbeln was das Zeug hält. Und schon klingelt es an einem der zig Telefone im Ausstellungsraum – zwar nicht am Richtigen, aber egal. Da muss sogar Kuratorin Dr. Sabine Rathgeb lachen.

Eine Fotokamera aus den 50er Jahren

„Das ist meine Jugend“ –Erinnerungen und Geschichten gehören zum Ausstellungsbesuch

Lachen und Spaß mit den altmodischen Dingen gehört unbedingt zu diesem Ausstellungsbesuch dazu – genau wie die Geschichten, die in den Erinnerungen schlummern. „Den Commodore 64 hab ich schon ewig nicht mehr gesehen! Das war meine Jugend“, staunt ein Besucher. Zwei Joy-Sticks laden ein zu einem Flipper-Spiel. Doch Geduld! Dafür muss das Spiel erst mal geladen werden. Einfach nur einschalten und losspielen – das gab es eben nicht in dem „Steinzeitalter“ des Internets. „Früher musste man eine Rufnummer wählen und dann hat man irgendwann eine Datenverbindung bekommen“, erinnert sich Technik-Fan Wilhelm Kobler. Um die Wartezeit zu verkürzen, können sich die Besucher im Heimatmuseum ja einfach ein Fax schicken. „Die beiden Faxgeräte funktionieren“, betont Dr. Sabine Rathgeb. Und genau das war ihr wichtig: Die Schallplattenspieler, die Grammophone, die Rechenmaschine – sie alle funktionieren wie eine Eins – dank des Services der Mitarbeiter des RepairCafés..

Wilhelm Kobler vom Repair Café hätte gern das „Fräulein vom Amt" gesprochen.

An jedem ersten Sonntag im Monat wird die Technik von Fachleuten des RepairCafés erklärt und vorgeführt

Doch damit nicht genug: An jedem ersten Sonntag im Monat stehen die Ehrenamtlichen bereit im Museum, um den großen und kleinen Besuchern die längst vergessene Technik vorzuführen und zu erklären. Zum Beispiel wie das Morsegerät aus dem Jahr 1900  funktioniert. Und was noch viel spannender ist: Wie so ein Morse-Code zu knacken ist. „Morse war Verschwörungs-Theoretiker. Er wollte nicht, dass seine Botschaften alle mitkriegen“, erzählt Wilhelm Kobler. SOS heißt dreimal kurz – dreimal lang – dreimal kurz. Das ist ja kinderleicht – oder doch nicht? Die Geheimschrift zu entziffern ist eine Aufgabe für junge Detektive, die das Heimatmuseum ab jetzt erobern dürfen. Und für ihre Eltern hat Dr. Sabine Rathgeb etwas Besonderes vorbereitet: Beim Charleston – abgespielt auf einem alten Grammophon - darf das Tanzbein geschwungen werden.

Nur zwei Aufrufe im Amtsblatt genügten und die Ausstellung war komplett

„Als ich die Plattenmusik das erste Mal gehört habe, ist mir die Idee gekommen: Das wäre doch cool, alte Technikgeräte auszustellen.“ Zwei Aufrufe von ihr im Amtsblatt haben genügt, um die Sammler in Korntal-Münchingen zu mobilisieren. Und schon füllte sich die Idee mit Leben in Form von alten Fotokameras, Rechenmaschinen und Fakturier-Maschinen. „Die alte Kurbelkasse stammt beispielsweise von Foto Trunk in Korntal“ berichtet die Museums-Leiterin. Ebenfalls aus Korntal ist die 30 Jahre alte Dampfmaschine in der Mitte des Ausstellungsraumes: Auf Knopfdruck setzt sie sich samt Schiffschaukel in Bewegung. Wer will ein Foto davon machen? Aber bitte nicht mit dem Handy! Dann schon lieber das schöne Motiv auf ein Glasdia malen. Das Bildchen kann dann auch mit dem 100 Jahre alten Diaprojektor bewundert werden.

Weil eben nicht alles auf Knopfdruck und sofort verfügbar ist, darin liegt für Dr. Sabine Rathgeb auch die Faszination der im Trend liegenden Retro-Bewegung. „Denn im Grunde könnte ein Handy am Eingang alle unsere Ausstellungsgegenstände ersetzen.“ Doch selbst wenn die moderne, digitale Technik unschlagbar ist in Möglichkeiten und Schnelligkeit, hat das Handy doch einen großen Haken für Repair-Café Techniker Wilhelm Kobler: „Man kann es net flicken.“

Hinweis: Öffnungszeiten Heimatmuseum Münchingen Dienstag 15 – 18 Uhr, Sonntag 11-12 Uhr und 14 – 17 Uhr