Daumen hoch für die Drehleiter aus Korntal-Münchingen
„Haben Sie ein Zimmer frei mit überwachtem Busparkplatz?“ Wie mag die Rezeptionistin im Hotel in Görlitz wohl gestaunt haben, als statt dem angekündigten „Busle“ am Abend eine Feuerwehrdrehleiter vor dem Haus einparkte. „Nur die erste Übernachtung haben wir noch während der Fahrt selbst organisiert“, erzählen Herbert Proß und Kevin Kirschenlohr.
Leckere Vesperbrötchen und viele Kissen in der Fahrerkabine
Vier Tage hat die Tour quer durch Osteuropa gedauert. „Mit den rund 1300 Kilometern Fahrt haben wir fast sechs Prozent der Lebens-Kilometer der Drehleiter zusammengebracht“, hält der 58-jährige Herbert Proß fest. So ein Feuerwehr-Fahrzeug ist eben eher auf den kurzen Rettungssprint ausgelegt. Genauso wie das eher ungemütliche Cockpit. „Als ich einstieg, dachte ich schon, ich habe eine „all-inklusiv“-Fahrt gebucht“, scherzt Kevin Kirschenlohr. Denn Herbert Proß, der nebenberuflich als Busfahrer arbeitet und schon bei einigen Hilfsfahrten in die Ukraine dabei war, hatte nicht nur eine Tüte mit leckeren Vesperbrötchen mit. „Auch an Kissen zum Unterlegen hat er gedacht.“
Nur sechs Wochen von der Spendenidee bis zur Realisierung
Die lange Zeit in der Fahrerkabine haben die Feuerwehrleute aus den beiden Stadtteilen gut genutzt. „Münchingen und Korntal haben sich besser kennengelernt“, berichtet Herbert Proß dem Bürgermeister Dr. Joachim Wolf. Dieser ist froh und dankbar, dass der Vorschlag der Stadtverwaltung, die „alte“ Drehleiter der Ukraine zu spenden, schon nach sechs Wochen in die Tat umgesetzt wurde und das Fahrzeug sicher an dem zuvor geheimen Einsatzort in Kiew angekommen ist. „Der Krieg in der Ukraine wird immer wüster und schrecklicher“, sagt Bürgermeister Dr. Joachim Wolf. Die Stadt Korntal-Münchingen sei froh, dass sie mit der Spende des Fahrzeuges „einen kleinen Beitrag“ zur Hilfe leisten konnte. Schon im März entschied der Ältestenrat der Stadt Korntal-Münchingen einstimmig, die „alte“ Drehleiter der Ukraine zu spenden. Die Spende bot sich an, da in Korntal-Münchingen seit Oktober vergangenen Jahres eine moderne Drehleiter im Einsatz ist. Damit die 30 Jahre alte DLK 23-12 Vario CC im Krisengebiet auch eine Hilfe ist, wurde sie zuvor mit Unterstützung des Korntaler Gerätewarts von der Firma Magirus GmbH generalüberholt. „Die Reparaturen wurden kostenlos für uns durchgeführt“, berichtet Hans Jörg Stellmacher, der für die Öffentlichkeitsarbeit der Freiwilligen Feuerwehr Korntal-Münchingen zuständig ist.
Durch die Unterstützung von @fire erfolgte die Überführung reibungslos
Die Idee ist das eine – die Umsetzung das andere. Bevor die Drehleiter überhaupt starten konnte, mussten von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung jede Menge Formulare ausgefüllt und bürokratische Hürden überwunden werden. Nicht nur die Zustimmung der Kommunalaufsicht war nötig – auch Zollausfuhr- und Zolleinfuhrpapiere mussten ausgefüllt werden, denn schließlich gehört die Ukraine nicht dem Schengen-Abkommen an.
Und wie schreibt man „Schenkungsvertrag“ auf ukrainisch? „Bei jeder Frage, die wir uns in Bezug auf die Überführung stellten, hatte @fire bereits eine Antwort parat“, lobte Hans Jörg Stellmacher, der Pressesprecher der Feuerwehr Korntal-Münchingen. Seine Initiative, Stefan Fellner als Kontaktmann von der Osnabrücker Organisation um Hilfe zu bitten, hatte sich bewährt. Gegründet wurde @fire um Waldbrände zu bekämpfen und in Katastrophengebieten Einsätze zu leisten. Dank ihres engen Netzwerkes nahm @fire nach Kriegsanfang auch die Überführung der dringend in der Ukraine benötigten Feuerwehrfahrzeuge in ihr Leistungsspektrum auf: „Wir betreuen die Fahrer während der Fahrt, klären die Fahrtroute und stellen Ersatzfahrzeuge für den Notfall bereit, falls das Feuerwehrfahrzeug auf der langen Stecke liegenbleibt“, erklärt Stefan Fellner das Konzept, das sich hauptsächlich aus Spenden finanziert.
Polnische Feuerwehrleute jubelten der Drehleiter aus Korntal-Münchingen zu
Zum Glück „tuckerte“ die Drehleiter aus Korntal-Münchingen mit 80 Stundenkilometern zuverlässig und ohne Mucken durch Polen. Abwechslung von der eintönigen Landschaft entlang der Fahrtstrecke boten den beiden Korntal-Münchingern die begeisterten Zurufe und „Daumen-Hoch!“-Zeichen ihrer polnischen Kollegen: „Denn die Polen wissen genau, wohin die Fahrt eines deutschen Feuerwehrfahrzeuges geht.“
Die Übergabe an der Grenze war in einer Stunde erledigt
Nach der ersten Übernachtung in Görlitz trafen Herbert Proß und Kevin Kirschenlohr in Krakau ein. Dort warteten bereits die Mitglieder der Hilfsorganisation @fire auf sie mit weiteren drei Feuerwehrfahrzeugen aus Deutschland. Gemeinsam fuhren sie durch Polen bis zum Treffpunkt – circa 20 Kilometer vor der ukrainischen Grenze. Dann ging alles sehr schnell. „Der Abgeordnete von Bürgermeister Vitali Klitschko kam persönlich vorbei, nahm den Schenkungsvertrag entgegen, unterzeichnete alle Papiere, bedankte sich und fuhr los“, erzählt Herbert Proß. Eine Einweisung in die Funktion der Drehleiter war für die gut ausgebildeten ukrainischen Feuerwehrleute nicht nötig. Vor ihnen lag der gefährlichere Teil der Strecke: „Alles was Blaulicht hat, wird von den Russen beschossen“, weiß Stefan Fellner. Umso erleichterter waren er und die Kameraden der Feuerwehr Korntal-Münchingen, als sie erfuhren, dass die Drehleiter sicher in Kiew angekommen ist. „Löschfahrzeuge gibt es dort einige, aber gerade eine Drehleiter wird bei der Hochbauweise in der Stadt dringend gebraucht“, erklärt Stefan Fellner. Zum Service von @fire gehörte auch die Organisation der Rückfahrt der beiden Feuerwehrleute aus Korntal-Münchingen, die diesen Einsatz nicht so schnell vergessen werden. Vor allem auch wegen den Begegnungen mit den ukrainischen Flüchtlingen – wie Kevin Kirschenlohr berichtet: „Als ich ihre traurigen Gesichter gesehen habe, wusste ich, warum ich das tue und was im Leben wirklich zählt.“