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Heimatverein Münchingen spendet Infotafel und Bank am Kallenberger Graben


Bürgermeister Dr. Joachim Wolf und Ewald GaukelAls im Jahr 2017 ein Bacchus-Relief aus Kallenberger Boden zu Tage befördert wurde, war das eine kleine Sensation. Zumindest für Geschichtsinteressierte. Denn wer könnte spannendere Geschichten vom längst in Vergessenheit geratenen Kallenberger Weinbau erzählen, als der Gott des Weines und des Rausches höchstpersönlich? Stadtarchivar Alexander Brunotte begab sich daraufhin auf Spurensuche und die Fakten in den Archiven sprachen für sich: Der Weinbau war über viele Jahrhunderte auf der Kallenberger Anhöhe zu Hause und hat seine Spuren hinterlassen.

Das Bachus Relief in Kallenberg

Fünf Jahre nach dem Bacchus-Fund hat der Heimatverein Münchingen nun eine Infotafel und eine Bank am Kallenberger Graben aufgestellt, um an die Geschichte der einstigen Wengerter zu erinnern. „Die Relief-Funde waren der Anlass, dass man sich wieder mit dem Weinbau in Kallenberg befasst hat“, so der zweite Vorsitzende des Heimatvereins Ewald Gaukel am Freitag, 8. April, bei der offiziellen Enthüllung der Tafel mit Bürgermeister Dr. Joachim Wolf, einigen Gemeinderäten, Vertretern des Heimatvereins, des NABU und Bürgern. „Denn damit war auch klar, dass der Kallenberger Graben im Zusammenhang mit dem einstmaligen Weinbau steht“. Wie Recherchen ergaben, ist der 700 Meter lange Kallenberger Graben, nicht einfach ein Hohlweg, sondern das Ergebnis des jahrhundertelangen Weinbaus. „Viele Generationen von Wengertern gruben über Jahrhunderte am Kallenberg das Mergel-Sediment aus, um das Kalk- und Tongemisch abzubauen und beim Weinbau als eine Art Dünger einzusetzen“, berichtete Stadtarchivar Alexander Brunotte. An den Hängen, wo heute Gärten und Wiesen sind, standen einstmals die Rebstöcke. Mit dem Infoschild möchte der Heimatverein dieses Kapitel der Geschichte bewahren und die „Mergelgrube“ erklären: „Denn man kann nur etwas erhalten und schützen, wenn man weiß, was es wert ist“, so Gaukel. Die Bank soll zum Verweilen und Genießen des Naturparadies einladen. Der Heimatverein widmete sie dem jüngst verstorbenen Ehrenvorsitzenden Kurt Krüger.

Genauso „ausgemergelt“ wie der Boden, fühlten sich wohl viele der Weinbauern selbst. Als harte Knochenarbeit „im Sommer wie Winter“ beschrieb Alexander Brunotte die Tätigkeit der Weingärtner anhand einer Schrift von Johann Philipp Brunner von 1837.

Im Jahr 1917 stellte der Gemeinderat das Ende des Weinbaus am Kallenberg fest – die letzten Weinstöcke waren herausgerissen worden.

Was macht der Papagei in meinem Garten?

Johannes Völlm vom NABUDamit machten die Weinbauern nichtsahnend Platz für ein kleines Naturparadies. „Wir haben hier eine unglaublich große und lange Hecke auf unserer Gemarkung. Sie ist der Lebensraum von ganz normalen und ganz besonderen Vogelarten“, sagte der Münchinger Vogelkundler Johannes Völlm vom NABU. Er bietet seit 47 Jahren vogelkundliche Führungen im Stadtgebiet an. „Doch nur hier im Kallenberger Graben kann man mit viel Glück die Nachtigall ihre Lieder singen hören.“ Der Heimatverein bot dem NABU eine Hälfte der Infotafel an, um auch auf den naturkundlichen Wert des Kleinods aufmerksam zu machen. Zwischen 25-30 Vogelarten hätten sich laut Völlm das in grob drei Lebensräume einteilbare Gebiet zu ihrer Heimat gemacht. Im Osten nahe des Waldes sei es vor allem der Grünspecht, der immer öfter zu sehen ist. Dank seiner roten Haube und seiner stattlichen Statur sorgt er schon mal für spezielle Anrufe beim Vogelkundler: „Herr Völlm, was macht der Papagei in meinem Garten?“

Von den Spechten, Goldammern, Zaunkönigen, Grasmücken, Amseln, Drosseln, Staren  und deren Vorlieben für Brutstätten und Speisekarten berichtete Johannes Völlm mit anschaulichen Ausführungen und imitierten Vogelrufen. Schnell kam die Idee unter den Anwesenden auf, dass das Thema geradezu nach einer Fortsetzung in Form einer vogelkundlichen Tour „schreit“. Passend dazu dann mit Weinschorle und Rebensaft als Wegzehrung?

Hintergrundinformationen zum Weinbau in Kallenberg:

  •  Vor über 600 Jahren taucht der Kallenberg erstmals in schriftlichen Quellen als Weinberg auf
  • 1350 Erwähnung von fünf Weingärten „an dem Kallenberge“ von etwas über vier Morgen Fläche
  • 1489 verkaufte Ritter Wilhelm von Münchingen dem Chorherrenstift Sindelfingen Gülten und Güter im Wert von 525 fl., darunter Weingärten am Kallenberg mit zugehöriger Kelter und den Wolfsberg (Rebland von ca. 16 Morgen)
  • 1590 erstreckten sich die Kallenberger Weingärten auf 61 Morgen, 40 davon am Kallenberg selbst gelegen, die übrigen 21 am Wolfsberg; Damit hatte die Anbaufläche in etwa ihre größte Ausdehnung erreicht, die noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts Bestand hatte.
  • Jahrhundertelang einziges Gebäude in Kallenberg war die Kelter; 1489 urkundlich erwähnt; 1918 ist das „Kallenberger Häuschen“ abgerissen worden
  •  Im 19. Jahrhundert geht Bedeutung des Weinbaus stark zurück
  • Zu Beginn des 20. Jahrhunderts heißt es in der Beschreibung des Oberamts Leonberg:  Der Weinbau, der früher weit ausgedehnter war und sich  mit wenigen Ausnahmen beinahe über sämtliche Orte des Bezirks erstreckte, wird heute nur noch im Osten des Bezirks an den Abhängen der Keuperberge, deren Mergelboden ihn sehr begünstigt, getrieben, und zwar auf den Markungen Leonberg (1903: 35,7 ha), Eltingen (25 ha), Gerlingen (74 ha), Korntal (18,6 ha), Münchingen (27 ha), Weil im Dorf  (22,8 ha), in geringer Ausdehnung auch auf den Muschelkalkböden in Heimerdingen, Hemmingen, Höfingen und  bei Warmbronn. Im Allgemeinen sind die erzeugten Weine mittelgute sog. Schiller, welche sich in der Regel nicht zu längerem Lagern halten.
  • In Münchingen war der Schlusspunkt 1917 erreicht. Im Gemeinderatsprotokoll des Jahres heißt es lapidar: In den letzten Jahren wurden vollends sämtliche Weinberge, ca. 130 Parzellen, herausgehauen, teils als Äcker und Wiesen, teils als Baumwiesen u. Baumäcker angelegt. Der Weinbau in Münchingen, und damit auch am Kallenberg, war Geschichte geworden.